OLG Koblenz, Urteil vom 16. März 2015 – Az. 12 U 649/1410.11.2015

Haftung beim der Kollision zwischen einem Wartepflichtigen und einem „vorfahrtsberechtigten“ Kurvenschneider.

Tenor

 

    1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 16.05.2014 abgeändert.

 

    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 1.195,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.992,30 € vom 22.09.2012 bis zum 7.12.2012 und aus 1.195,89 € seit dem 8.12.2012 sowie Kosten vorgerichtlicher Rechtsverfolgung in Höhe von weiteren 72,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.12.2012 zu zahlen.

 

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

    Auf die Widerklage werden die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte zu 1. 578,66 € und Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung in Höhe von 71,75 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.05.2013 zu zahlen.

 

    Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

 

    Die weitergehende Berufung der Beklagten zu 1. und die Anschlussberufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

 

    2. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

 

    Kosten der ersten Instanz:

 

    Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 11 %, die Klägerin weitere 57 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 23 % und die Beklagte zu 1. weitere 9 %.

 

    Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin 68 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 23 % und die Beklagte zu 1. weitere 9 %.

 

    Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten tragen die Drittwiderbeklagte 55 % und die Beklagte zu 1. 45 %.

 

    Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 11 %, die Klägerin weitere 57 % und die Beklagte zu 1. 32 %.

 

    Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. tragen die Klägerin 71 % und die Beklagte zu 2. 29 %.

 

    Kosten des Berufungsverfahrens:

 

    Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 14 %, die Klägerin weitere 75 % und die Beklagte zu 1. 11 %.

 

    Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin 89 % und die Beklagte zu 1. 11 %.

 

    Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten tragen die Drittwiderbeklagte 55 % und die Beklagte zu 1. 45 %.

 

    Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 14 %, die Klägerin weitere 75 % und die Beklagte zu 1. 11%.

 

    Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2..

 

    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

    4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

 

1

 

    Die Berufung der Beklagten hat - bezüglich der Widerklage teilweise - Erfolg. Die Anschlussberufung der Klägerin ist unbegründet.

 

2

 

    Die Unfallbeteiligten haften zu je 50 %.

 

3

 

    Die Widerbeklagte ...[A] hat die Vorfahrt der Beklagten zu 1. verletzt. Da ihre Sicht durch die Hecke an der Ecke ...[X] Straße/...[Y] Straße eingeschränkt war, durfte sie sich nur vorsichtig in die Einmündung hineintasten (§ 8 Abs. 2 S. 3 StVO). Das bedeutet, dass sie nur zentimeterweise bis zum Übersichtspunkt mit sofortiger Anhaltemöglichkeit vorrollen durfte. Schrittgeschwindigkeit genügte dazu nicht. Dabei musste sie sich soweit wie möglich rechts halten (vgl. zu allem Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 8 StVO Rn. 58). Diese Anforderungen hat die Widerbeklagte ...[A] offensichtlich nicht beachtet. Sie mag - entsprechend ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht - langsam auf die Einmündung zugefahren sein. Das reichte aber nicht. Gegen ein zentimeterweises Vorrollen spricht auch ihre Angabe, sie habe eine Vollbremsung gemacht.

 

4

 

    Die Widerbeklagte ...[A] ist mit dem Fahrzeug der Klägerin in den Bereich eingefahren, in dem sie die Vorfahrt der Beklagten zu 1. zu beachten hatte. Der Vorfahrtsbereich ist in dem Gutachten der Sachverständigen ...[B] korrekt gekennzeichnet. Bei einer trichterförmig erweiterten, vorfahrtberechtigten Einmündung, wie sie im vorliegenden Fall gegeben ist, hat der Linksabbiegende berechtigte Vorfahrt auf der gesamten, bis zu den Endpunkten des Trichters erweiterten Fahrbahn der Vorrechtsstraße (BGH NJW 1965, 1772; OLG Hamm NZV 1998, 26). Die Kollision hat sich innerhalb dieses Bereichs ereignet. Außerdem bestand die Vorfahrt der Beklagten zu 1. trotz der Tatsache, dass sie beim Einbiegen nach links die Kurve geschnitten hat (OLG Frankfurt NZV 1990, 472).

 

5

 

    Die Beklagte zu 1. hat - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - ihre Pflicht zur Vermeidung einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verletzt (§ 1 Abs. 2 StVO). Sie ist nach links in die ...[X] Straße eingefahren, indem sie die Kurve geschnitten und den von links kommenden Verkehr nicht ausreichend beachtet hat. Bei entsprechender Vorsicht konnte sie die durch die Hecke eingeschränkten Sichtverhältnisse bemerken und musste sich auf Fahrzeuge einstellen, die aus der ...[X] Straße kommend bis zur Sichtlinie vorfahren.

 

6

 

    Bei dieser Sachlage haben beide Fahrzeugführer den Schaden zu gleichen Teilen verursacht.

 

7

 

    Die Höhe des Schadens der Klägerin ist unstreitig. Bei einer Haftung von 50 % haben die Beklagten weitere 1.195,89 € zu zahlen.

 

8

 

    Die Beklagte zu 1. hat ihren Schaden auf der Basis des Gutachtens berechnet, das die Haftpflichtversicherung der Klägerin den Auftrag gegeben und zur Grundlage ihrer teilweisen Erstattung gemacht hat (vgl. das Schreiben der Haftpflichtversicherung vom 30.01.2013). Bei einer Haftung von 50 % haben die Widerbeklagten 1.159,82 € zu erstatten. Nach Abzug der bereits erfolgten Zahlung verbleibt ein Anspruch in Höhe von 578,66 €.

 

9

 

    Der Zinsanspruch der Klägerin und der Beklagten zu 1. folgt aus den §§ 286, 288 BGB.

 

10

 

    Der Anspruch auf Kosten vorgerichtlicher Rechtsverfolgung besteht auf der Grundlage der Schadensbeträge, die die Klägerin und die Beklagte zu 1. verlangen konnten.

 

11

 

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

 

12

 

    Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 

13

 

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.034,89 € festgesetzt.

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