Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 02. Juni 2016 – Ss (BS) 8/2016 (7/16 OWi), Ss (BS) 8/16 (7/16 OWi)01.09.2016

Leitsatz

Auch bei der Geschwindigkeitsermittlung mittels des ProViDa-Systems genügt das Urteil in der Regel den Darlegungsanforderungen, wenn lediglich das Messverfahren und der berücksichtigte Toleranzwert mitgeteilt werden. Einer darüber hinausgehenden Mitteilung der zum Einsatz gebrachten Betriebsart bedarf es regelmäßig nicht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Homburg vom 23. Oktober 2015 wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet

v e r w o r f e n .

Gründe

I.

1

Mit Urteil vom 23. Oktober 2015 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 49 km/h eine Geldbuße in Höhe von 160,00 Euro festgesetzt und unter Anwendung der Regelung in § 25 Abs. 2a StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Urteilsfeststellungen erfolgte die Geschwindigkeitsmessung mit der „Geschwindigkeitsmessanlage Provida" und wurde von der gemessenen Geschwindigkeit in Höhe von 136 km/h ein Toleranzwert in Höhe von 7 km/h in Abzug gebracht.

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Gegen dieses Urteil hat der Betroffene mit am selben Tag bei dem Amtsgericht eingegangenem Telefaxschreiben seines Verteidigers vom 30. Oktober 2015 Rechtsbeschwerde eingelegt, die er nach am 2. Dezember 2015 an den Verteidiger erfolgter Zustellung des Urteils mit Telefaxschreiben des Verteidigers vom 22. Dezember 2015, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, mit der - näher ausgeführten - Verletzung materiellen Rechts begründet hat.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat - auch unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom 27. Dezember 2007 (Ss (B) 88/2007 [98/07]) - die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht beantragt und insoweit im Wesentlichen ausgeführt, dass das amtsgerichtliche Urteil den Darlegungsanforderungen im Falle einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Messsystem ProViDa nicht genüge.

II.

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Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, über die der Senat nach der zur Fortbildung des Rechts erfolgten Übertragung durch den Einzelrichter in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden hatte (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 80 a Abs. 1 OWiG), ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

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In der Sache bleibt dem Rechtsmittel jedoch der Erfolg versagt, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils weder zum Schuldspruch noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler erkennen lässt, der sich zum Nachteil des Betroffenen ausgewirkt hat.

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1. Das Urteil leidet insbesondere hinsichtlich des zum Einsatz gelangten Messverfahrens nicht an einem sachlich-rechtlichen, zur Urteilsaufhebung zwingenden Darstellungsmangel.

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a) Insoweit weist die Generalstaatsanwaltschaft zunächst zu Recht darauf hin, dass das Rechtsbeschwerdegericht bei der sachlich-rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils an die Feststellungen des Tatrichters zur Schuldfrage gebunden ist und auch dessen Beweiswürdigung hinzunehmen hat, wenn sie frei von Rechtsfehlern ist, insbesondere nicht in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. nur BGH NStZ-RR 2002, 39; NStZ-RR 2015, 178 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 26, 27; KK-StPO/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 28, jew. m.w.N.). Im Hinblick auf diese eingeschränkte und nur an Hand der Urteilsgründe vorzunehmende (vgl. hierzu KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 337 Rn. 27 m.w.N.) Überprüfung des Rechtsmittelgerichts hat der Tatrichter die Urteilsgründe in Bezug auf seine Überzeugungsbildung so zu fassen, dass sie eine auf Rechtsfehler beschränkte Richtigkeitskontrolle möglich machen (vgl. nur BGHSt 39, 291, 296; KK-StPO/Ott, a.a.O., § 261 Rn. 5). Jedoch kann von ihm nicht verlangt werden, alle nach den Beweisergebnissen nicht ganz fern liegenden Möglichkeiten der Würdigung in den Urteilsgründen umfassend zu erörtern und die Erwägungen, welche ihn zu einer bestimmten Überzeugung bewogen haben, in ihrer Gesamtheit erschöpfend darzustellen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 82 f.; Senatsbeschluss vom 25. Februar 2009 - Ss (B) 6/2009 [12/09] -).

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Beruht bei einer Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Nachweis des Verkehrsverstoßes auf dem Einsatz eines standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, in der Regel die Mitteilung des angewandten Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes (vgl. BGHSt 39, 291 ff.; 43, 277 ff.; ständige Rechtsprechung des Senats: vgl. z. B. Beschlüsse vom 2. Oktober 2009 - Ss (B) 85/2009 [92/09] -, 5. Dezember 2011 - Ss (Z) 242/11 [147/11] - und 5. März 2013 - Ss (B) 135/2012 [6 /13 OWi] -; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 3 StVO Rn. 56 b m.w.N.), welcher allerdings nicht als solcher ausdrücklich bezeichnet werden muss, sondern sich auch aus der Angabe der gemessenen und der berücksichtigten Geschwindigkeit ergeben kann (vgl. Thüring. OLG VRS 114, 453, 454; Senatsbeschluss vom 8. November 2013 - Ss (B) 88/2013 [71/13 OWi] -; Cierniak, Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen, ZfS 2012, 664, 667). Die Anforderungen an die Darstellung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung im Bußgeldurteil sind in dieser Weise eingeschränkt, so dass es - soweit aus dem Urteil selbst keine Besonderheiten wie z.B. konkrete Anhaltspunkte für Messfehler ersichtlich sind - keiner weitergehenden Mitteilung wie beispielsweise des verwendeten Gerätetyps und der Einhaltung der zugehörigen Betriebsvorschriften in den Urteilsgründen bedarf (BGHSt 39, 291, 301, 303; Senatsbeschlüsse vom 8. November 2013 - Ss (B) 88/2013 [71/13 OWi] - und 17. März 2014 - Ss (B) 52/2013 [54/13 OWi] -; Cierniak, a.a.O., S. 666).

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b) Diesen Anforderungen werden die Darlegungen des angefochtenen Urteils gerecht. Ihnen lässt sich entnehmen, dass die Geschwindigkeitsmessung mit dem ProViDa-System, einem elektronischen Gerät zur Zeit-Weg-Messung (vgl. König, a.a.O., § 3 StVO Rn. 62a), durchgeführt worden ist. Bei diesem Messverfahren handelt es sich - jedenfalls soweit es um seine Verwendung zur Geschwindigkeitsmessung geht - um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. April 2010 - Ss (Z) 215/2010 [38/10] -, 25. März 2011 - Ss (B) 126/2010 [24/11] - m. w. N., 6. Februar 2014 - Ss (Z) 203/2014 [4/14 OWi] -, 18. Februar 2014 - Ss (Z) 206/2014 [12/14 OWi] -, 17. März 2014 - Ss (B) 52/2013 [54/13 OWi] - und 21. März 2016 - Ss (B) 12/2016 [8/16 OWi] -; OLG Köln DAR 1999, 516; Thüringer OLG VRS 111, 211 ff.; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 6. Januar 2011 - 1 Ss OWi 209/10 (214/10) -, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. März 2013 - 2 Ss OWi 1003/12 -, juris; König, a.a.O., § 3 StVO Rn. 62a m.w.N.; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., Rn. 2374 m.w.N.). Darüber hinaus wird in den Urteilsgründen auch mitgeteilt, dass der Tatrichter von der gemessenen Geschwindigkeit in Höhe von 136 km/h einen Toleranzabzug in Höhe von 7 km/h vorgenommen hat. Dies entspricht einem berücksichtigten Toleranzwert von 5,14 Prozent, der im Hinblick darauf, dass nach ganz überwiegender, vom Senat geteilter Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung ein Toleranzabzug von 5 Prozent der gemessenen Geschwindigkeit bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h im Regelfall als ausreichend angesehen wird (vgl. OLG Köln DAR 1999, 516; OLG Düsseldorf VRS 99, 297; OLG des Landes Sachsen-Anhalt VRS 100, 201; Thüring. OLG VRS 111, 211 ff.; KG DAR 2009, 39; König, a.a.O., § 3 StVO Rn. 62a; Burhoff, a.a.O., Rn. 2379, jew. m.w.N. aus der Rechtsprechung), nicht zu beanstanden ist.

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c) Der Annahme, dass der Tatrichter durch die Mitteilung des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes den Darlegungsanforderungen vorliegend genügt hat, steht auch nicht entgegen, dass in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich mitgeteilt wird, welche der bei diesem Messgerät möglichen Betriebsarten konkret zum Einsatz gekommen ist, und sich dies auch nicht aus dem Zusammenhang der Darlegungen in dem angefochtenen Urteil entnehmen lässt (zu letzterer Fallgestaltung vgl. Senatsbeschluss vom 21. März 2016 - Ss (B) 12/2016 [8/16 OWi] -).

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Allerdings wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick darauf, dass das Messsystem ProViDa verschiedene Einsatzmöglichkeiten - Messung aus einem stehenden Fahrzeug, Messung aus einem fahrenden Fahrzeug durch Nachfahren oder Vorwegfahren mit gleichbleibendem Abstand, Weg-Zeit-Messung (vgl. Thüring. OLG VRS 111, 211 ff.; Schleswig-Holsteinisches OLG, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 9. Dezember 2009 - 3 Ss OWi 948/09 -, juris; Löhle/Beck, Fehlerquellen bei Geschwindigkeitsmessungen, DAR 1994, 465, 475 ff.; Cierniak, a.a.O., S. 667) - zulässt, gefordert, dass der Tatrichter - zusätzlich zur Mitteilung des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes - in den Urteilsgründen auch mitteilen muss, welche der verschiedenen Betriebsarten zum Einsatz gekommen ist (vgl. Thüring. OLG, a.a.O. sowie Beschluss vom 22. August 2011 - 1 Ss Rs 68/11 -, juris; Schleswig-Holsteinisches OLG, OLG Hamm, jew. a.a.O.; OLG Bamberg DAR 2012, 154 ff.; DAR 2014, 334 f.; Burhoff, a.a.O., Rn. 2377 m.w.N. aus der Rechtsprechung; a.A. OLG Frankfurt, a.a.O.). Auch ist der Generalstaatsanwaltschaft zuzugeben, dass der Beschluss des Senats vom 27. Dezember 2007 (Ss (B) 88/2007 [98/07]) ebenfalls in diesem Sinne verstanden werden könnte.

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Diese Auffassung vermag der Senat jedoch nicht zu teilen; eine eventuell entgegenstehende Rechtsprechung gibt er (vorsorglich) auf. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen: Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach es für sich allein genommen keinen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils darstellt, wenn sich die Verurteilung eines nicht geständigen Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei Verwendung eines standardisierten Messverfahrens auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit stützt (vgl. BGHSt 39, 291 ff.; 43, 277, 282), liegt die Überlegung zugrunde, dass die amtliche Zulassung technischer Messgeräte und -methoden durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt - und mithin auch die Anerkennung eines Messsystems als standardisiertes Messverfahren - ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen - die systemimmanenten Messfehler erfassenden - Toleranzwert gerade den Zweck verfolgt, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen (vgl. BGHSt 39, 291, 297). Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in den genannten Entscheidungen festgestellt, dass Zweifel an der Funktionstüchtigkeit und der sachgerechten Handhabung von Geschwindigkeitsmessgeräten, deren tatsächliche Grundlagen in den Urteilsfeststellungen keinen Niederschlag gefunden haben, im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht aufgrund einer Sachrüge berücksichtigt werden können (BGHSt 39 291 LS 2; 43, 277, 282). Das bedeutet nach Auffassung des Senats aber, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten, sofern aus dem Urteil keine (erörterungsbedürftigen) Besonderheiten ersichtlich sind, in allen Fällen, in denen der Nachweis des Verkehrsverstoßes auf dem Einsatz standardisierter Messverfahren beruht, die Mitteilung des zum Einsatz gekommenen Messverfahrens und die Höhe des von der gemessenen Geschwindigkeit in Abzug gebrachten Toleranzwertes genügt (vgl. Cierniak, a.a.O., S. 666) und weitergehende Ausführungen zur angewandten Betriebsart nicht erforderlich sind. Dies gilt auch mit Blick auf den in Ansatz zu bringenden Toleranzabzug. Denn es ist insoweit anerkannt, dass zum Ausgleich systemimmanenter Messungenauigkeiten im Regelfall jedenfalls ein Toleranzabzug von 5 Prozent der gemessenen Geschwindigkeit ausreichend ist (vgl. H.-P. Grün/Eichler/D. Schäfer/M. Grün/Böttger in: Burhoff, a.a.O., Rn. 2101 m.w.N.; s.a. Beck/Löhle, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 9. Aufl., S. 151).

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Zu einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 G VG sieht sich der Senat nicht veranlasst, da er sich seiner Auffassung nach in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befindet (vgl. BGHSt 43, 277, 282).

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2. Entgegen der Auffassung des Rechtsbeschwerdeführers ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts auch nicht deshalb lückenhaft, weil der Tatrichter seine Überzeugung von dem Geschwindigkeitsverstoß im Wesentlichen oder sogar ausschließlich auf die Aussage des Messbeamten und nicht zusätzlich noch auf eine Augenscheinnahme des Messvideos gestützt hat. Bei der Würdigung der Beweise ist das Gericht weder an feste oder gesetzlich normierte Beweisregeln noch an sonstige Richtlinien gebunden, die ihm vorschreiben, unter welchen Voraussetzungen es eine Tatsache für bewiesen oder nicht bewiesen zu halten oder welchen Wert es einem förmlichen Beweismittel beizumessen hat (vgl. BGH NJW 1982, 2882; KK-StPO/Ott, a.a.O., § 261 Rn. 28). Weshalb vorliegend etwas anderes gelten sollte, wird von der Rechtsbeschwerde nicht mitgeteilt und ist auch sonst nicht ersichtlich.

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3. Schließlich begegnet auch der Rechtsfolgenausspruch keinen sachlich-rechtlichen Bedenken.

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Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 c der Anlage zu § 1 Abs. 1 der BKatV vorliegen und hat die zur Tatzeit geltende Regelgeldbuße in Höhe von 160.- € verhängt. Auch soweit das Gericht daneben auf ein Fahrverbot von einem Monat unter Beachtung der Regelung in § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG erkannt hat, ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden; vielmehr entspricht die Entscheidung den vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretener Grundsätzen.

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4. Die Rechtsbeschwerde war daher mit der Kostenfolge aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

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